4. November 2020

Feste, Anlässe und Veranstaltungen – wer ist im Brandschutz wann zuständig?

Autoren: Lorenz Juen, Teamleiter Brandschutz, Aargauische Gebäudeversicherung und
              Jürg Walti, Leiter Rechtsdienst, Aargauische Gebäudeversicherung

 

Feste, Anlässe und Veranstaltungen finden nicht nur in dafür bewilligten Bauten statt. Vielfach werden bestehende Bauten provisorisch zweckentfremdet und umgenutzt oder temporärere Fahrnisbauten und Zelte erstellt. Am Beispiel des Eidgenössischen Turnfestes von 2019 in Aarau zeigen wir die Umsetzung des Brandschutzes auf.

Der Brandschutz am Eidgenössischen Turnfest 2019 in Aarau

Mit 69'000 Teilnehmenden und rund 200'000 Besuchern war das Eidgenössische Turnfest in Aarau im Jahr 2019 nicht nur eine Herausforderung für die Organisatoren, sondern auch für alle verantwortlichen (Bewilligungs-)Stellen. Das Brandschutzkonzept für die Festzelte und Tribünenanlagen wurde von der Aargauischen Gebäudeversicherung (AGV) anhand der geltenden «Stand der Technik Papiere» beurteilt. Als provisorische Unterkünfte für Übernachtungen wurden vielfach Turnhallen, unterirdische Zivilschutzanlagen und Schulhäuser benutzt. Nach geltendem Recht ist bei Nutzungsänderungen das Brandschutzkonzept verhältnismässig an die Brandschutzvorschriften anzupassen. Das eingereichte Konzept bestand denn auch aus einem Mix aus baulichen, technischen und organisatorischen Massnahmen. Der Schwerpunkt lag dabei auf den organisatorischen Massnahmen. Die baulichen Gegebenheiten wurden meist unverändert einbezogen.

Angewendete Bestimmungen und aufgeworfene Fragen

Die gängige Praxis der AGV verlangt für Räume mit einer Personenbelegung von mehr als 500 Personen eine Beurteilung durch die AGV, sofern die Räumlichkeiten nicht bereits für eine solche Nutzung bewilligt worden sind. Veranstalter müssen solche Anlässe zudem der zuständigen Gemeinde melden.

Die kantonale Brandschutzverordnung (BSV) jedoch verlangt bereits bei Räumen mit einer Personenbelegung von mehr als 100 Personen eine Beurteilung durch die AGV. Es kamen Fragen zum vorgenannten Schwellenwert der AGV von 500 Personen und zur Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen den Gemeinden und der AGV auf. Eine weitere Frage dreht sich um die Verhältnismässigkeit der Brandschutzmassnahmen für zeitlich begrenzte, temporäre Veranstaltungen, wie sie zum Beispiel das zehntägige Eidgenössische Turnfest darstellen. Denn die in den Brandschutzvorschiften der Vereinigung kantonaler Feuerversicherungen (VKF) aufgeführten Brandschutzmassnahmen beziehen sich in der Regel auf ganze Lebenszyklen von Gebäuden und Anlagen.

Diese aufgeworfenen Fragen und die Erfahrungen aus dem Eidgenössischen Turnfest von 2019 in Aarau führten dazu, die Praxis im Hinblick auf die rechtlichen Grundlagen zu überprüfen.

Rechtsabklärungen zur Brandschutzbewilligung

Im Vordergrund der rechtlichen Abklärungen standen folgende Fragestellungen:

  1. Muss für temporäre Veranstaltungen eine kantonale oder kommunale Brandschutzbewilligung eingeholt werden?
  2. Sind zur Gewährleistung des Brandschutzes individuelle Sicherheitskonzepte zulässig?
  3. ​​​Inwieweit stehen die Veranstalter in der Verantwortung und wie haben sie gegebenenfalls ihre Sicherungspflicht zu erfüllen?

Die rechtlichen Abklärungen führten zu folgenden Erkenntnissen:

1. Brandschutzbewilligungspflicht bei temporären Veranstaltungen

Hier sind verschiedene Sachverhalte zu unterscheiden:

a) Veranstaltungen ohne ortsfeste Bauten, Anlagen und Einrichtungen

Brandschutzbewilligungen werden für Bauten, Anlagen und Einrichtungen ausgestellt. Veranstaltungen wie Festumzüge, Volkswanderungen und -läufe oder Technoparades, aber auch Openairs, Konzerte im Freien oder Sportveranstaltungen ausserhalb von Sportanlagen mit Publikum sind demnach nicht brandschutzbewilligungspflichtig. Es können aber andere kantonale oder kommunale Bewilligungen erforderlich sein. Bei der Beurteilung solcher Bewilligungsgesuche ist unter anderem zu prüfen, ob seitens der Veranstalter ein angemessenes Sicherheitskonzept vorliegt. Es steht den zuständigen Behörden dabei frei, hinsichtlich des geplanten Brandschutzes (Fluchtwege u.a.) bei der AGV einen Fachbericht einzuholen.

b) Temporäre Fahrnisbauten

Veranstaltungen mit bis zu 100 Personen liegen in der Zuständigkeit der Gemeinde und dürften für gewöhnlich nicht mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt verbunden sein. Somit ist für diese temporären Fahrnisbauten keine kommunale Brandschutzbewilligung notwendig.

Bei mehr als 100 Personen besteht jedoch eine erhebliche Personengefährdung unabhängig von der Nutzungsdauer dieser Fahrnisbauten Es ist eine kantonale Brandschutzbewilligung notwendig.

c) Umnutzung bestehender Bauten

Nicht nur die Errichtung oder der Umbau von Bauten, Anlagen und Einrichtungen bedürfen einer Brandschutzbewilligung der AGV, sondern auch die wesentliche Änderung solcher Objekte. Darunter fallen bauliche wie auch Zweck- und Nutzungsänderungen unabhängig davon, ob sie auf Dauer angelegt sind oder bloss temporär erfolgen.

Wird eine Baute (z.B. Schule, Schutzanlage, Sport- und Gemeindehalle) im Rahmen einer Veranstaltung vorübergehend zu Schlafplätzen oder anderen Zwecken umgenutzt, ist eine kantonale Brandschutzbewilligung erforderlich.

Ist für eine Umnutzung eine kantonale Brandschutzbewilligung erforderlich, liegt regelmässig auch eine wesentliche Zweckänderung vor. Eine solche bedarf eine Baubewilligung durch den Gemeinderat. Bei Grossanlässen sind nicht die einzelnen Fahrnisbauten oder Gebäudeumnutzungen baubewilligungspflichtig, sondern der Anlass als solcher mit all seinen raum-, umwelt- und sicherheitsrelevanten Auswirkungen.

2. Zulässigkeit individueller Sicherheitskonzepte

Bestehende Bauten und Anlagen geniessen grundsätzlich Bestandesschutz. Sie sind deshalb lediglich bei wesentlichen Änderungen an die geltenden Brandschutzvorschriften anzupassen. Und auch dies nur im Rahmen der Verhältnismässigkeit.

Das Brandschutzgesetz wie auch die Brandschutznorm der VKF halten übereinstimmend fest, dass an Stelle von vorgeschriebenen Massnahmen Alternativen treten können. Voraussetzung ist jedoch die Gleichwertigkeit für das Einzelobjekt. Die Brandschutznorm der VKF (Art. 12) erlaubt zudem auch die Anwendung von Nachweisverfahren im Brandschutz zur Beurteilung von Brandgefahr und Brandrisiko oder zur Nachweisführung konzeptioneller Ansätze unter der Bedingung einer ganzheitlichen Betrachtungsweise.

Individuelle Sicherheitskonzepte sollten den «Stand der Technik Papiere» entsprechen.

3. Verantwortlichkeit des Veranstalters

Die Veranstalter haben in Eigenverantwortung dafür zu sorgen, dass die Sicherheit der Veranstaltungsteilnehmenden jederzeit gewährleistet ist. Diese Pflicht ergibt sich nicht nur aus dem öffentlichen Recht, sondern ist auch privatrechtlich begründet, sei es als vertragliche Nebenpflicht oder ausservertraglich aus dem sogenannten Gefahrensatz (Verkehrssicherungspflicht).

Die Veranstalter erfüllen ihre Sicherungspflicht namentlich, indem sie für die Veranstaltung als Ganzes wie auch für die einzelnen hierfür erstellten Fahrnisbauten (Zelte, Tribünen etc.) und allfällige umgenutzte Räumlichkeiten ein angemessenes Brandschutzkonzept erarbeiten. Dazu gehört, die erforderlichen baulichen, technischen und organisatorischen Massnahmen zur ordnungsgemässen Umsetzung des Brandschutzkonzepts zu treffen. Bei Räumen mit einer Personenbelegung von mehr als 300 Personen ist auch die Bestimmung eines Sicherheitsbeauftragten Brandschutz mit einem entsprechenden Pflichtenheft notwendig.

Fazit

Zusammenfassend kann festgehalten werden:

  • Veranstaltungen ohne ortsfeste Bauten, Anlagen oder Einrichtungen benötigen unabhängig der Teilnehmerzahl keine Brandschutzbewilligung.
  • Temporäre Fahrnisbauten sowie Umnutzungen bestehender Bauten mit einer Personenbelegung von mehr als 100 Personen erfordern eine kantonale Brandschutzbewilligung unabhängig ihrer Nutzungsdauer.
  • Bei temporärer Umnutzung bestehender Gebäude liegt der Schwellenwert der kommunalen oder kantonalen Zuständigkeit von Brandschutzbewilligungen bei 100 Personen.
  • Individuelle Schutzkonzepte dürfen anstelle von Standardkonzepten angewendet werden, solange sie gleichwertig sind. Die Veranstalter haben in Eigenverantwortung dafür zu sorgen, dass die Sicherheit der Veranstaltungsteilnehmenden jederzeit gewährleistet ist. Sie haben für die Veranstaltung als Ganzes wie auch für die einzelnen Räume und Anlagen ein angemessenes Brandschutzkonzept zu erarbeiten.

Neues AGV-Merkblatt "Temporäre Veranstaltungen"

Die Erkenntnisse dieser rechtlichen Abklärungen hat die AGV in einem neuen Merkblatt «Temporäre Veranstaltungen» eingearbeitet. Darin sind auch die Themen Feuerwache und Dekoration geregelt. Das neue Merkblatt «Temporäre Veranstaltungen» enthält somit sämtliche Themenbereiche eines Grossanlasses und ist auf der Homepage der AGV verfügbar: www.agv-ag.ch.

Das neue Merkblatt «Temporäre Veranstaltungen» ersetzt die bisherigen Merkblätter «Feste, Anlässe und Veranstaltungen», «Feuerwachen» und «Dekorationen». Diese sind ab sofort nicht mehr gültig und auf der AGV-Homepage nicht mehr verfügbar.

 

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